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Festival 1997 - Franz Lehàr (1870-1948) »Land des Lächelns«Franz Lehàr (1870-1948) »Land des Lächelns«
Romantische Operette in drei Akten nach Viktor Leon
Libretto: Ludwig Herzer und Fritz Löhner

China, die Mittelmächte und Franz Lehár – kein »Happy-End«

Ein Jahrhundert vor unserer Isnyer Inszenierung des »Land des Lächelns«, 1897, erklärte Außenminister von Bülow am 6. Dezember im Deutschen Reichstag: »Die Zeiten, wo der Deutsche dem einen seiner Nachbarn die Erde überließ, dem anderen das Meer und sich selber den Himmel reservierte, wo die reine Doktrin thront – diese Zeiten sind vorüber … Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.«

Die Verwirklichung solcher »Weltpolitik« nahm schon eine Woche später mit der Okkupation des chinesischen Tsingtaus (14.12.1897) ihren Anfang – maßgeblich waren zunächst weniger wirtschaftliche Interessen als vielmehr der Wunsch der deutschen Marine nach einem Flottenstützpunkt. Dieser wurde auch bald benötigt: Im Jahre 1900 stellte das Deutsche Reich 20.000 Soldaten für eine internationale Militärinteivention in China, an der sich acht Nationen beteiligten – Auslöser war der dortige »Boxeraufstand« und die Belagerung der Gesandten im Pekinger Botschafterviertel durch die Rebellen (ihr chinesischer Name »Ylhetuan« bedeutete »Truppe der Rechtlichkeit und Reinheit«), nachdem am 20. Juni 1900 der deutsche Gesandte Klemens von Ketteler von einem Regierungssoldaten erschossen worden war – vermutlich ein Racheakt, denn Deutschland hatte kurz zuvor ein weiteres Stück chinesischen Gebietes annektiert.

Am 21. Juni erklärte der chinesische Kaiserhof den ausländischen Mächten den Krieg. Vor der Einschiffung des deutschen Expeditionskorps hielt Kaiser Wilhelm II. am 21 Juli 1900 in Bremerhaven eine seiner berüchtigten Stegreif-Reden, worin er unter anderem forderte: »Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen, Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer Euch in die Hände fällt, sei in Eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in ihrer Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bekannt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.«

Obschon die deutschen Soldaten bei der internationalen antichinesischen Strafexpedition am Ende keine große und erst recht keine entscheidende Rolle spielten (an der Einnahme und Plünderung Pekings am 15. August 1900 waren sie gar nicht beteiligt), sagte diese international mit Bestürzung registrierte »Hunnenrede« des Kaisers dennoch viel aus über das Selbstverständnis der deutschen Militärmaschinerie und ihres obersten Kriegsherren. Es gibt auch mancherlei Hinweise darauf, daß die deutschen Soldaten ihren Kaiser wortwörtlich genommen haben, denn ab dem Herbst 1900 erschienen in deutschen Zeitungen immer mehr Briefe, in denen Soldaten des Expeditionskorps ihren Angehörigen von Verbrechen und Greueln an der chinesischen Zivilbevölkerung berichteten.

Über das »eigentlich treibende Motiv« dieser brutalen Expedition nach Übersee schrieb General Helmuth von Moltke, später (bis 1914) Generalstabschef, am 11. Juli 1900 an seine Frau Eliza: » … Wenn wir ganz ehrlich sein wollen, so ist es Geldgier, die uns bewogen hat, den großen chinesischen Kuchen anzuschneiden. Wir wollten Geld verdienen, Eisenbahnen bauen, Bergwerke in Betrieb setzen, europäische Kultur bringen, das heißt Geld verdienen … ».

Die andere der beiden in »Nibelungentreue« miteinander verbundenen »Mittelmächte«, die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie, hatte im Jahr 1897, als die Deutschen ihren »Platz an der Sonne« einforderten, ihre erste Gesandtschaft im kaiserlichen China eingerichtet; sie wurde von Baron Czikann geleitet. An der antichinesischen Strafexpedition von 1990 nahmen auch k.u.k.-Soldaten teil. Franz von Lehár, damals noch im Militärdienst, hatte eigens den Marsch »Auf nach China« komponiert. Es gibt eine zeitgenössische Fotografie, die zeigt, wie Lehár mit der Kapelle des 26. ungarischen Infanterie-Regimentes durch Wien marschiert (was dabei gespielt worden ist, läßt sich natürlich nicht mehr ermitteln). Die zurückkehrenden Soldaten wurden als Helden gefeiert und mit einer Sonde1vorstellung der berühmtesten Wiener Operette, der »Fledermaus«, geehrt.

Im (geplünderten) Peking hatte Baron Czikann die Rolle des Doyen des internationalen diplomatischen Korps inne. So oblag ihm die heikle Aufgabe, jenen Empfang zu organisieren, bei dem sich die Kaiserinwitwe Tz’u-hsi tränenreich bei den Diplomatenfrauen für die während der 55-tägigen Belagerung des Gesandtschaftsviertels durch die aufständischen »Boxer« erlittene Unbill entschuldigte.

Im nächsten Jahr, 1902, richtete China in Wien eine Gesandtschaft ein. Und anno 1905 venmählte sich der erste Attache dieser chinesischen Botschaft, Herr Hsüeh-chi-Tschong, mit Fräulein Zemoth aus Berlin-Charlottenburg. Der junge Diplomat war selber in Berlin geboren worden, wo sein Vater am Orientseminar der Universität eine Lektorenstelle innehatte. Diese Hochzeit war selbst für die Weltstadt Wien ein außergewöhnliches Ereignis, auch Lehár wird von ihr gehört haben.

In China wurde 1912 die Republik ausgerufen; Europa stürzte sich 1914 in die Schreckenszeit der Ersten Weltkrieges. 1916, es tobte die Schlacht in der »Knochenmühle« von Verdun, soll Lehár auf die Idee verfallen sein, eine scheiternde europäisch-chinesische Ehe zum Bühnensujet zu wählen. Im Hause des Operettenstars Hubert Marischka sei Lehár an die Hochzeit des Hsüeh-chi-Tschong mit Fräulein Zemoth e1innert worden – eine traurig endende Geschichte, denn der junge Diplomat war nach China zurückberufen worden und man hatte nie wieder etwas von ihm gehört.

1917 erklärte die chinesische Republik der Donaumonarchie den Krieg. Ein Jahr später endete der Weltkrieg mit dem Fall des Doppeladlers. Es spricht für Lehárs Sensibilität, daß er wohl gerade deshalb von jenem Stoff angezogen wurde, weil er nicht in Glück und Wohlgefallen endete – »denn die Verhältnisse, sie sind nicht so«. Und so ist Lehár als Meister der »tragischen Operette« in die Geschichte der Musik eingegangen.

Am 9. Februar 1923 kam Lehárs Werk in seiner Erstfassung als »Die gelbe Jacke« auf die Bühne, und selbstverständlich spielte Hubert Marischka den Sou-Chong. Die Handlungszeit wird vom Libretto auf 1912 datiert – jenem Jahr, in dem dje provisorische Nationalversammlung am 1. Januar die Errichtung der Republik China beschlossen und Sun Yixian, Gründer des Revolutionsbundes, zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Diese Fassung hatte noch ein glückliches Ende – was dem Publikum wohl schon damals unglaubhaft erschien – »Die gelbe Jacke« war ein Mißerfolg.

Am 10. Oktober 1929 wurde dann die Neufassung »Das Land des Lächelns« im Berliner Metropol-Theater uraufgeführt und begeistert gefeiert, insbesondere der Tenor Richard Tauber, der die Arie »Dein ist mein ganzes Herz« meh1fach wiederholen mußte. Tauber hatte großen Einfluß auf die Umarbeitung genommen, in der konsequenterweise das glückliche Ende fehlt. Lehár selber war über diese Neugestaltung sehr erleichtert und sagte in einem Interview: »Die Verfassung des Publikums in unserer Zeit ermöglicht auch der Operette, sich von der oftmals unglaubwürdigen Lüge eines Happy-Ends abzuwenden. Die dichterische Unterlage darf einen angeschlagenen Konflikt in seiner Wahrhaftigkeit ausklingen lassen…«

Zu dieser Zeit hatten japanische Truppen die Mandschurei besetzt. Chjna litt unter einem mit unerhörter Grausamkeit gefühlten Krieg, der erst 1945 mit der Herrschaft Mao Zedong sein Ende fand. In Wien wurde »Das Land des Lächelns« erst 1938 aufgeführt. kurz darauf marschierten Hitlers Soldaten durch die Straßen…

Dr. Till Bastian

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