Frederick Loewe (1901-1988) und Alan Jay Lerner (1918-1986)
»My Fair Lady
Nach der Komödie »Pygmalion« von George Bernhard Shaw
Deurschsprachige Fassung von Roberr Gilbert
Ort und Zeit: London und Umgebung, 1912
Professor Henry Higgins, ein eingefleischter Junggeselle, widmet sich ganz und gar seiner wissenschaftlichen Arbeit, dem Studium der Sprachen und Dialekte. Auf dem Marktplatz vor der Covent Garden Opera trifft er zufällig mit Oberst Pickering zusammen, einem gerade aus Indien nach London gekommenen Fachkollegen. Den Wortschwall des schimpfenden Blumenmädchens Eliza Doolittle, den er lautgetreu in seinem Notizbuch aufzeichnet, nimmr Professor Higgins zum Anlaß, seine Theorie zu erklären: Nicht die Herkunft, sondern die Sprache formt den Menschen. Er lädt Pickering als Gast in sein Haus und versichert ihm, daß er durch eine sorgfältige Sprachausbildung sogar aus diesem ordinären Blumenmädchen eine Lady machen könne. Eliza, die das Gespräch mit angehört hatte, erscheint daraufhin bei Professor Higgins, um Sprachunterricht zu nehmen. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, eine Lady zu werden, um dann einen Blumenladen eröffnen zu können. Higgins ist über ihr Anliegen verblüfft, doch ihn reizt das Experiment. Elizas Vater, der Müllkutscher Alfred P. Doolitde, vermutet hinter dem Aufenthalt seiner Tochter im Hause des Professors eine Liebesaffäre. Als er allerdings versucht, die Situation finanziell für sich auszunutzen, wird er schroff abgewiesen. Professor Higgins verhilft ihm aber auf anderem Wege zu Wohlstand und gesellschaftlichem Ansehen.
Nach wochenlanger harter Arbeit, während der Higgins keine Rücksicht auf die seelischen Konflikte des jungen Mädchens nimmt, wird Eliza beim Pferderennen in Ascot der Gesellschaft präsentiert. Sie fällt völlig aus der Rolle, doch der junge Aristokrat Freddy Eynsford-Hill ist von ihrer Orginalität und Natürlichkeit so begeistert, daß er ihr den Hof macht.
Higgins und Eliza setzen den Sprechunterricht trotzdem fort. Und dann ist es so weit: Auf dem Diplomatenball hat Eliza ihren großen Auftritt. Sie wird von allen anerkannt und als die schönste Lady des Abends bewundert. Higgins und Pickering triumphieren und vergessen dabei völlig, daß Elizas Leistung nicht allein das Ergebnis der Sprachdressur ist. Verletzt und empört verläßt Eliza das Haus des Professors, der erst jetzt den Wandel des jungen Mädchens zu einer liebenden, jungen Frau begreift.
Higgins muß sich schließlich eingestehen, wie sehr er sich an den quirlige Geist gewöhnt hat. Der Professor überwindet seinen Stolz, Eliza kehrt zu ihm zurück, und alles endet im guten.
Das Pygmalion-Motiv der Antike
Die Geschichte von Pygmalion und seinem Liebesleid ist aus der griechischen Antike überliefert – und zwar in mehreren Varianten. Eine ältere Version berichtet, daß Pygmalion, der König von Kypros, sich in eine nackte Elfenbeinstatue der Göttin Aphrodite verliebte. Dabei war sein Gefühl so heftig, daß er sich dem Bildnis »näherte« und es »schändete«. Was immer en detail darunter zu verstehen sein mag, es war den alten Griechen, trotz der zu ihrer Zeit nicht sonderlich strengen Sexualmoral, offenbar zuviel.
Die bekanntere Fassung wurde von dem römischen Dichter Ovid geformt. Vollständig hieß er Publius Ovidius Naso, wurde 43 vor der Zeitenwende im heutigen Sulmona geboren und starb, nach Jahren als gefeierte Hofdichter, im Jahre 17 nach Christus in Konstanza (damals Tomis), am schwarzen Meer. In dieses Nest, fern von Rom, war der Dichter von Kaiser Augustus verbannt worden – angeblich wegen Majestätsbeleidigung. Der Wahrheit näher kommt wahrscheinlich die Vermutung, daß dem armen Ovid pikante Einzelheiten aus dem selbst für damalige Verhältnisse recht freizügigen Sexualleben der Kaiserenkelin Julia bekannt geworden waren. Diese Julia war, mit modernen Worten ausgedrückt, ein reichlich ausgeflipptes Girlie.
In seinem berühmtesten Werk »Metamorphosen« schildere Ovid einen Künstler, der – durch unangenehme Erlebnisse zum Weiberfeind geworden – sich selbst ein ideales Frauenbild schnitzt. Er bittet Aphrodite, ihm eine dieser Statue ähnliche Gattin zu schenken. Und siehe da, als er seinem Werk in verliebter Stimmung den letzten Schliff gibt, erwacht dieses, plötzlich beseelt, zu menschlichen Leben. Bei Ovid selbst hat die Partnerin des Pygmalion keinen Namen. Wohl aber schildert er, daß aus der Ehe zwischen dem Künstler und der lebenden Statue eine Tochter und ein Sohn, Paphos genannt, hervorgingen. Spätere Dichter gaben der Frau den Namen Galatea oder Elisa, woran sich sowohl Shaw als auch die Musical-Schöpfer Rodgers und Hammerstein orientierten.
Im Pygmalion-Motiv des Ovid mag man jene Sehnsucht erblicken, die gewiß nicht nur die Künstler beseelt: Den Wunsch, Menschen zu schaffen nach dem eigenen, inneren Bilde – und die Hoffnung, daß es mit solchen Kreaturen in der Parmerschaft am Ende einfacher auszuhalten sei…
Eine andere Komponente der Erzählung wirkt alles andere als antik: Wie viele Menschen, und beileibe nicht nur Männer, gibt es, die von einer »Idealgestalt« träumen, in die sie sich zu verlieben hoffen – während sie ihren realen Mitmenschen gegenüber eher zurückhaltend, mißtrauisch, ja feindselig sind? George Bernard Shaw, der große Spötter, wußte souverän mit diesem Motiv zu spielen. Kein Wunder, denn sein Idealismus ist immer mir Selbstkritik und Ironie angereichert. Folgende Anekdote, die indirekt auch mit dem Pygmalion-Motiv spielt, mag für dies stehen: Eine für ihre Schönheit bekannte Schauspielerin umschwärmte den Dichter mit dem Wunsch um ein Kind von ihm. »Stellen Sie sich vor, Mister Shaw, das Kind würde meine Schönheit und Ihre Intelligenz erben – welch ein wunderbares Wesen entstünde dann.« Shaws Antwort: »Aber wie schrecklich, wenn es umgekehrt käme…«
Bleiben wir also lieber in der Realität, auch wenn Elisa und Eliza uns durchaus einen Bühnenabend lang bezaubern können.
Till Bastian