Charles François Gounod (1818-1893)
Wer kennt sie nicht, die bekannte Melodie des »Ave Maria«, eine der populärsten Melodien der klassischen Musik, die Gounod als »Méditation sur le premier prélude de Bach« komponierte? Und doch – den Namen Gounods findet man heute kaum auf den Spielplänen der großen Theater. Er gilt als französischer Opernkomponist der Romantik, doch wer war dieser tief religiöse Mann, der vor seinem Durchbruch als Komponist eigentlich Kleriker werden wollte?
Als Sohn eines respektablen Malers und einer Pianistin wird Charles Gounod 1818 in Paris geboren. Von der Mutter, einer Pianistin, bekommt er seinen ersten Musikunterricht, doch schon bald erkennt sie sein musikalisches Talent und lässt ihn Privatunterricht beim französischen Musiktheoretiker Anton Reicha nehmen. Er beginnt ein Musikstudium am Pariser Konservatorium und erreicht in den darauf folgenden Jahren bei einem Kompositionswettbewerb zunächst einen zweiten Preis, dann 1839 den »Grand Prix de Rome«.
Dieser Preis ermöglicht es ihm, für einige Jahre nach Rom zu ziehen. Dort beschäftigt er sich intensiv mit der Musik Palestrinas und die Berührung mit dessen Musik beeindruckt ihn tief und prägt ihn so sehr, dass man bis in seine späten Werke Ähnlichkeiten erkennen kann. Er entwickelt eine starke Affinität zum Geistlichen, denn die Musik der Sixtinischen Kapelle geht ihm ans Herz, bewegt ihn und erfüllt ihn. Er komponiert selbst fast ausschließlich Kirchenmusik und als seine Zeit in Rom abgelaufen ist, nimmt er 1843 in Paris die Stelle des Kirchenkapellmeisters und Organisten in der Kirche »Missions étrangères« an.
Die nächsten fünf Jahre zieht er sich aus dem öffentlichen Leben zurück, studiert Theologie und wohnt schließlich im Kloster. Gerade als es scheint, er habe sich für ein Leben als Kleriker entschieden, regt sich der Künstler in ihm: Dem dreißigjährigen Gounod wird bewusst, dass sich dieses Leben nicht mit der Kunst vereinbaren lässt und dass es für ihn eigentlich nur einen Weg gibt, um sich einen Namen als Musiker zu machen – nämlich das Theater.
Dass er die Mönchskutte nach so kurzer Zeit wieder ablegt, hindert ihn nicht daran, bis an sein Lebensende als Kirchenmusiker zu arbeiten und geistliche Musik zu schreiben. [Gounod arbeitete während seines restlichen Lebens sehr eng mit vielen Laienchören zusammen und gründete und dirigierte selbst auch Chöre in London und Paris. Dies mag sicherlich der Grund für seine schlichten und leicht verständlichen Chorsätze sein, die ab und zu an Palestrina erinnern. Sein geistliches Schaffen besteht aus 17 lateinischen Messen und einer großen Zahl an Motetten, Liedern, Oratorien und Kantaten.] Es scheint, als würde die Tatsache, dass er als Opernkomponist bekannt ist, seinem umfangreichen, alle Gattungen berücksichtigenden Oeuvre nicht gerecht, dennoch – für die französische Oper des 19. Jahrhunderts spielt er eine entscheidende Rolle, denn Gounod hat nicht nur einen wichtigen Anteil an der Wiederbelebung und Neuorientierung der französischen Kirchenmusik gehabt, ihm ist es auch zu verdanken, dass die Oper in Frankreich ihren Weg von der multinationalen Grand Opéra zurück zu einem rein französischen Stil findet.
Gounod bekommt seinen ersten Auftrag durch eine Sängerin, die er in Italien kennengelernt hatte. Seine erste Oper »Sapho« (1851) sowie die nächsten Versuche werden kein Erfolg, aber man kann verfolgen, wie Gounod langsam seinen eigenen Stil entwickelt. Seine Musik hat nur noch wenige Gemeinsamkeiten mit der Musik der Grand Opéra, die nach der Französischen Revolution zur Operngattung des Bürgertums geworden war. Er bricht mit den Traditionen, indem er keine Opern schreibt, in denen spektakuläre Szenen vorkommen, in denen die Sänger all ihr Können unter Beweis stellen müssen. Gounod komponiert innige, zarte, lyrische Melodien, die den Franzosen anfangs zu neu und modern sind. 1859 hat er mit seiner Oper »Faust« seinen ersten internationalen Erfolg. Er schafft es mit seiner Musik dem Zuhörer die Gefühle der Charaktere nahe zu bringen und wird oft »le musicien de l’amour« genannt.
Nachdem der Erfolg in den nächsten Jahren wieder ausbleibt, lässt sich Gounod von der großen Liebesgeschichte von Shakespeare inspirieren – »Roméo et Juliette« wird 1867 im »Théatre lyrique« in Paris sehr erfolgreich uraufgeführt und im gleichen Jahr noch von Theatern in London und New York aufgenommen.
Somit ist Gounod vielleicht die zentrale Figur der französischen Musik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Er trug entscheidend zur Entwicklung der Opéra Lyrique bei und wurde international so bekannt, dass er einen wesentlichen Einfluss auf den Stil der Komponisten der gesamten nächsten Generation hatte.
Giulia Montanari