Gioachinino Rossini: »Wilhelm Tell«
Als Sohn eines Trompeters und einer Bäckerstochter kam am 29. Februar 1792 Gioachino Rossini in Pesaro zur Welt. Mit acht Jahren erhielt Rossini seinen ersten Gesangsunterricht, nachdem die Familie nach Rom gezogen war. Als die Familie 1802 nach Lugo in der Provinz Ravenna zog, lernte Rossini den wohlhabenden Giuseppe Malerbi kennen, durch den er in den ersten Kontakt mit der Musik Haydns und Mozarts kam. So entstand 1804 die erst Komposition für zwei Violinen, Violoncello und Kontrabass Sei sonate a quattro. Der erneute Wohnsitzwechsel nach Bologna 1806 ermöglichte Rossini ein Studium am Liceo Musicale, an dem er Violoncello und Klavier studieren konnte, später auch Kontrapunkt bei Stanislao Mattei. Inspiriert von Haydn, Mozart und Cimarosa schrieb er 1809 seine erste Oper Demetrio e Polibio. Diese veröffentliche er vorläufig noch nicht. Nebenbei trat Rossini einige Male als Sänger auf, da er eine sehr gute Sopranstimme besaß.
Erst als er 1810 nach Venedig ging, trat er erstmal als Komponist in Erscheinung: seine Oper Il cambiale di matrimonio wurde mit großem Erfolg aufgeführt. Er schrieb noch einige Opern, von denen aber nur wenige bekannt wurden. Erst mir Tancredi konnte er erneut einen herausragenden Erfolg feiern. Daraufhin wurde Rossini 1815 Direktor der zwei Opernhäuser in Neapel, für die er unter anderem die Oper Il barbiere de Siviglia schrieb. Der Erfolg dieser Oper war erst gebremst, da vor ihm schon Giovanni Paisiello eine Opera buffa mit derselben Handlung geschrieben hatte. Dessen Anhängern missfiel die Neuauflage durch Rossini anfangs sehr, was aber die folgende Erfolgsserie der Oper nicht aufhalten konnte. Somit erhielt Rossini auch den Beinamen Meister der Opera buffa.
1825 erhielt er eine Anstellung als Leiter der italienischen Oper in Paris, die er aber aufgrund der Julirevolution 1830 wieder verlor. Seine letzte Oper nach 39 anderen sollte Wilhelm Tell (1829) sein, die aber auch seine einzige Grand Opéra war. Aufgrund eines Nervenleidens, an dem er seit 1831 litt, erhielt er 1836 von der französischen Regierung eine Pension auf Lebenszeit. Nachdem er ab 1839 Leiter des Liceo Musicale wurde verließ er dieses 1848 schon wieder, da politische Unruhen Bologna gefährlich machten. So zog Rossini erneut nach Paris, wo er am 13. November 1868 starb und auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt wurde.
Die Oper Wilhelm Tell ist in mehrerlei Hinsicht eine Ausnahme in Rossinis Repertoire. Wie schon erwähnt, war die am 3. August 1829 uraufgeführte Oper die letzte Oper Rossinis, wie er der damaligen Presse auch so mitteilte. Doch auch die Tatsache, dass Rossini sie ganz auf Französisch verfasst und auch aufgeführt hat, ist etwas Besonderes. Alle anderen Opern von ihm waren alle auf Italienisch. Diese französische Grand Opéra lässt sich auch mit den Opern von Spontini oder Auber vergleichen, die diese neue Gattung entscheidend geprägt hatten. Es gibt ein paar Hinweise darauf, dass Wilhelm Tell mit seinem dramatischem Ende und ästhetischem Anspruch als ein musikalisches Testament gesehen werden kann: zum einen das Sujet, das an das gleichnamige Drama von Schiller angelehnt ist und von dem schweizerischen Rebellenheld Wilhelm Tell handelt, zum anderen aber auch die Ankündigung als letzte Oper.
Die erste Fassung des Librettos von Étienne de Jouy (1764-1846) wurde sehr lange und bekam wegen des politikkritischen Inhalts Probleme mit der französischen Regierung. Danach musste das Libretto überarbeitet werden und Hippolyte Bis wurde als neuer Librettist engagiert, der dann auch eine Neufassung hervorbrachte. Dies aber sollte für spätere Inszenierungen problematisch werden. Der Pariser Troupenas veröffentlichte bereits 1829 eine Partitur von Wilhelm Tell, ohne dabei aber zu berücksichtigen, dass bei den Proben für die Uraufführung noch einige Änderungen vorgenommen wurden, die nur in den Aufzeichnungen Rossinis oder der Pariser Opéra notiert waren. Dazu kamen noch Publikationen in deutscher oder italienischer Sprache und eine dreiaktige Fassung von 1831 mit einem neuen Finale, wodurch ein umfangreicher Berg an handschriftlichen und gedruckten Versionen entstand.
Bei der Inszenierung in der Pariser Opéra durch Rossini selbst konnte der Tenor Adolphe Nourrit als Arnold gehört werden, der zur damaligen Zeit als einer der besten Tenöre galt. Dass Rossini eine auf drei Akte gekürzte Version der Oper vorgestellt hatte, lag vermutlich an der mageren Euphorie des Publikums nach der vorigen langen Aufführung. Erst nach dieser neuen Version ist die Oper mit großem Erfolg vom Publikum angenommen worden. Dennoch würde eine gesamte Aufführung dieser Fassung immer noch etwa fünf Stunden dauern. Das Sujet wurde in kurzer Zeit zu einem europäischen Schlager. In den folgenden Jahren nach der Uraufführung folgten weitere Inszenierungen unter anderem in Brüssel, Prag oder Wien.
Erst nach dem Ersten Weltkrieg ging der Erfolg der Oper zurück und Neuinszenierungen wurden seltener. In den 1970er Jahren entstanden dann wieder Aufführungen auf einem sehr hohen Niveau, wie etwa beim Maggio Musicale Firenze (1972), in Zürich (1982), an der Mailänder Scala (1988) oder beim Rossini-Festival in Pesaro (1995), welches eine komplette Rekonstruktion der Uraufführung in Paris zeigte.
Claudius Grath